Präludium

Das Zusammenspiel seines gemessenen Schrittes, der die Stille auf dem Kopfsteinpflaster wie Gewehrschüsse zerriss, mit den dunklen Schatten, die im Schutz der einbrechenden Nacht aus den Ecken krochen, ließ die schmale Gasse unheimlich wirken. Er bewegte sich fast lässig, mit erhobenem Kopf, sich seiner selbst bewusst – und hätte ihn jemand bemerkt, dann hätte jener untrüglich erkannt, dass er einem Ziel zustrebte und ihn nichts jemals davon abbringen könnte. Alles an ihm strahlte Unerbittlichkeit aus. Ein Mann, der niemals zögerte, stets ins Schwarze traf, ohne mit der Wimper zu zucken über Leichen ging und dabei eine Ruhe ausstrahlte, als würde er in einem Buch lesend vor einem gemütlichen Kaminfeuer sitzen. Oder als stünde er auf dem Gipfel eines Berges, das Tal zu seinen Füßen, mit sich und Gott im Reinen. Aber das war er ganz sicher nicht, denn womit er sein Geld verdiente, war in der Gesellschaft verpönt. Daher wussten auch nur eine Handvoll Leute von seiner Profession, jene Stützen der Stadt, die Macht besaßen und die immer wieder gerne auf einen Mann wie ihn zurückgriffen. Alle anderen kannten ihn als einen sehr zurückgezogenen Menschen, einen Liebhaber klassischer Musik mit einer besonderen Verehrung für Mozart. Doch in Wirklichkeit konnte er diesen Komponisten nicht ausstehen. Es widerte ihn geradezu an, wie sich die Unbeschwertheit des Musikers in den meisten seiner Werke widerspiegelte. Er verabscheute Fröhlichkeit, Ausgelassenheit und alle, die dem Dolce Vita frönten, ein Vergehen, dessen sich Mozart zweifellos täglich schuldig gemacht hatte. Aber nun, knapp hundert Jahre nach Mozarts Tod begriff auch die Stadt Salzburg langsam, welch ein Goldjunge da innerhalb ihrer Mauern aufgewachsen war und man hob ihn, obwohl zu Lebzeiten oft lächerlich gemacht, nun auf einen Sockel der Verehrung, um mit seiner Musik Geld zu verdienen. Aus jedem Konzertsaal und durch beinahe jede geöffnete Tür eines Proberaums erklangen seine Kompositionen, selbst die Straßenjungen pfiffen die Melodie der „Kleinen Nachtmusik“. Wäre Nikolaus Ritter nicht so abgebrüht, müsste er sich ohne Unterlass vor Qual winden.
Nur wenige Minuten zuvor hatte er den wuchtigen Salzburger Dom passiert und sich eingebildet, Mozarts Totenrequiem vernommen zu haben. Das einzige Stück, welches er ohne Schauder ertragen konnte.
Doch hier in der dunklen Seitengasse war es still – keine Musik, welche die Hauswände bröckeln ließ und sich zum melodischen Vibrieren dieser Stadt gesellte. Plötzlich verhielt er seinen Schritt, zog den Hut tiefer in die Stirn, sodass sein Gesicht im Schatten lag, und der Rhythmus, der ihn auf seinem Weg begleitet hatte, verstummte. Pause. Verstärkt vom schwachen Schein einer nicht weit entfernten Straßenlampe. Dann ein dreimaliges Pochen mit dem Türklopfer an das schwere Holz einer Eingangstür. Bumm, bumm, bumm – und als hätte er all dies geplant, das Schlagen der Kirchturmglocken: bim, bim, bim, bim, bim, bim, bim, bim, bim, bim. Nikolaus trat zurück und wartete ab. Eins, zwei, drei, vier … Bei neun wurde die Tür geöffnet und er stand einem Diener gegenüber, der ihn mit hochgezogenen Brauen musterte, dem es jedoch nicht möglich war, den späten Besucher genau zu erkennen.
„Ja, mein Herr? Sie wünschen?“
„Dein Herr erwartet mich“, erwiderte Nikolaus mit versteinerter Miene.
„Unmöglich. Er erwähnte nichts von einem Besuch. Im Gegenteil, er begab sich bereits zu Bett.“
Noch bevor der Diener ihm die Tür vor der Nase zuschlagen konnte, trat Nikolaus einen Schritt vor und stellte seinen Fuß zwischen Tür und Türrahmen, was ihm einen irritierten Blick seitens des Bediensteten einbrachte.
„Richte ihm aus, dass ich ihn sprechen möchte. Er wird mich empfangen.“
Mit seinem durchdringenden Blick, dessen kaltes Glitzern sogar die Schatten der Nacht durchschnitt, spießte der nächtliche Besucher sein Gegenüber auf, das eingeschüchtert zurückwich.
„Wen darf ich melden?“, fragte der Diener nun nicht mehr so selbstsicher.
„Sag ihm, dass der Wolf hier ist.“
„Der Wolf?“

Da der Hausangestellte keine Bestätigung mehr erhielt, dass er den Besucher richtig verstanden hatte, wandte er sich um und eilte die Treppe hinauf.


In den Fängen des Teufels

Oper in 4 Akten
Libretto und Komposition: Juliane Ritter

1. Akt:

In dem sich die Tochter des Kaufmanns opfert, den Teufel zu heiraten.

Bühnenbild: Das Haus des Kaufmanns, ein Schloss, Wald, Garten, Gassen, Julianes Schlafzimmer

„Juliane, was hast du getan?“

Kaufmann: Wer klopfet an meine Tür? Wer ist’s? Wer ist’s, der meine Ruhe stört?
Diener (sprechend): Der Teufel, mein Herr, steht vor der Tür und begehrt Einlass!
Chor (in dunklen Gewändern vom Hintergrund der Bühne aus): Er will deine Seele holen!
Diener: Er will deine Seele holen!
Kaufmann: Er will meine Seele holen!
Chor: Deine Seele! Deine Seele!
Kaufmann (lässt sich auf einen Stuhl sinken, hebt eine Hand ans Herz): Gott steh mir bei in dieser schweren Stunde!
Chor (wispert): Der Teufel ist’s. Er will deine Seele holen! Du bist verloren, verloren.
Kaufmann: Es gibt keine Rettung mehr für mich! Mein Ende naht!
(Die Glocken läuten zwölf Mal.)

Der Kaufmann saß blass und im Morgenmantel hinter seinem Schreibtisch, als Nikolaus zu ihm geführt wurde. Nachdem der Besucher eingetreten war, konnte der Kaufmann das Zittern seiner Hände nur schwer verbergen, weshalb er sie unter der Tischplatte versteckte und zusammenballte. Er erhob sich nicht, um seinen Gast zu begrüßen, sondern deutete mit dem Kinn auf einen Stuhl, der gegenüber von ihm bereitstand.
„Ich bleibe stehen“, erklärte der dunkle Mann, ohne seine Augen von dem Kaufmann zu nehmen, während er seinen Hut abnahm und auf einen freien Stuhl legte. „Ich nehme an, Sie wissen, warum ich hier bin.“
Der Kaufmann schluckte unbehaglich, dann räusperte er sich.
„Es besteht kein Anlass. Ich werde meine Schulden noch in dieser Woche begleichen.“
„Das sagten Sie bereits in der letzten Woche.“
Der Kaufmann sank in sich zusammen.
„Und der vorletzten Woche.“
Ein unmerkliches Zucken seines linken Augenlids.
„Und im letzten Monat.“
Die Knöchel seiner Hände traten weiß hervor, so fest ballte der Kaufmann die Fäuste. Nun ließ sich der späte Besucher doch auf den Stuhl sinken und schlug entspannt ein Bein über das andere.
„Meine Geduld hat ihre Grenzen und diese sind mit dem heutigen Tag überschritten“, fügte er noch hinzu, während er langsam eine Pistole aus der Tasche zog.
Entsetzt fixierte der Kaufmann die schwere Waffe, die Nikolaus nun beiläufig auf seinem rechten Oberschenkel ruhen ließ.
„Hört, Graf, ich weiß, dass ich in Eurer Schuld stehe und ich bitte ein letztes Mal um Gnade. Ich werde Euch alles zurückzahlen und noch mehr, doch gewährt mir eine letzte Frist!“
„Ich sagte, meine Geduld ist endlich. Das Einzige, was es hier zu verhandeln gibt, ist das Wie und nicht das Ob.“
„Aber Ihr besitzt doch bereits alles, was ich einst mein Eigen nannte! Es gibt nichts mehr, was ich Euch noch geben könnte!“
„Nun, dann bleibt nur noch Ihr Leben“, stellte Nikolaus ungerührt fest und erhob sich, während er die Waffe auf den Mann richtete.
Der Kaufmann schloss müde die Augen, sein Puls raste und ließ seine Halsschlagader pochen.
„Dann soll es so sein. Doch ich habe eine letzte Bitte. Gewährt mir einen Aufschub von vier Wochen, um meine jüngste Tochter zu vermählen. Ich möchte auch sie versorgt wissen.“
Überrascht schossen Nikolaus’ Augenbrauen in die Höhe.
„Sie haben noch eine Tochter?“
„Neun an der Zahl. Bis auf Juliane konnte ich alle gut unterbringen.“
„Nun …, Mann …, ich meine, Sie sind eigentlich schon bestraft worden, dass es für drei Leben genug wäre. Neun Töchter!“
Nikolaus schüttelte leicht den Kopf. „Trotzdem bestehe ich auf der Begleichung Ihrer Schuld. Gibt es bereits einen möglichen Ehegemahl?“
„Es ist noch nichts arrangiert, doch mir schwebt tatsächlich ein junger Mann aus gutem Hause vor.“
„Das klingt überaus schwammig. Ich denke, wir bringen es jetzt hinter uns.“
Nikolaus hob erneut die Waffe und zielte auf den Kopf seines Gegenübers.

„Halt!“, rief plötzlich eine helle Stimme und wäre Nikolaus nicht überaus erfahren im Umgang mit Waffen, hätte er wohl vor Schreck abgedrückt.
Doch so drehte er sich nur ein wenig und richtete die Waffe auf ein neues Ziel, das sich in Form einer jungen Frau vor ihm aufbaute. Der Vorhang hinter ihr bewegte sich noch ein wenig und offenbarte, woher sie so plötzlich gekommen war. Wieder ließ Nikolaus die Waffe sinken und musterte die ungewöhnliche Erscheinung, die erschreckend bunt angezogen war und auf ihn den Eindruck eines Kanarienvogels machte. Vielleicht spielte sie ja einen solchen auf der Bühne in Die Zauberflöte.
„Juliane!“, keuchte der Kaufmann erschrocken. „Was hast du hier zu suchen?“
„Ich suchte Noten, Vater“, erklärte sie, während sie sich ihrem Vater zuwandte und die Arme vor der Brust verschränkte. „Genaugenommen die Partitur der Zauberflöte. Ich bin mir sicher, dass Sie diese wieder ‚aufgeräumt‘ haben. Nur leider mangelt es mir, wie so oft, an der nötigen Geisteskraft, um nachvollziehen zu können, wo genau dieser neue Platz sein soll. Deswegen habe ich in diesem Raum mit der Suche begonnen.“
Ohne eine Miene zu verziehen, setzte sich Nikolaus wieder auf den Stuhl, wobei er, wie zuvor, die Waffe auf dem Schenkel ruhen ließ. In diesem Moment war ihm vollkommen klar, dass der Kaufmann niemals einen Gemahl für dieses aufgeplusterte Weibchen finden würde. Dieser Fakt besiegelte also den soeben zu Ende gehenden Tag als Todestag des Kaufmanns. Juliane drehte sich nun zu Nikolaus und musterte ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen.
„Ich kam nicht umhin, das Gespräch zu belauschen, welches Sie mit meinem Vater führten. An dieser Stelle möchte ich Ihnen mitteilen, dass es von einer sehr schlechten Erziehung zeugt, wenn man Scherze über den Tod macht. Nicht mal im Spaß darf man das Leben eines anderen Menschen bedrohen!“
Der Kaufmann keuchte entsetzt auf, während Nikolaus eine Augenbraue lüpfte und Juliane schweigend betrachtete. Niemals würde irgendjemand dieses … aufgescheuchte Huhn heiraten! Vielleicht sollte er sie ebenfalls erschießen, dann hätte er beide von einem offensichtlich unnützen Dasein erlöst. Das Funkeln in seinen Augen schien die Kaufmannstochter stutzig zu machen, denn sie erblasste. Fassungslos drehte sich Juliane zu ihrem Vater, der sie mit weit aufgerissenen Augen anstarrte.
„Es ist kein Scherz? Dieser Mann meint es ernst?“
Da der Kaufmann zweifellos unfähig war, in irgendeiner Form zu reagieren, ließ sich Nikolaus arrogant dazu herab, an seiner Stelle zu antworten: „Dieser Mann meint es tatsächlich ernst“, äffte er die junge Frau nach, die entsetzt einen Schritt zurückstolperte.
„Sie wollen meinen Vater ermorden?“
„Ich würde es eher die Begleichung einer Schuld nennen. Da er nichts mehr zu geben hat, als sein Leben, werde ich eben dieses nehmen.“
„Welch ein ausgesprochener Schwachsinn!“, entfuhr es ihr. „Was sollte Ihnen das bringen? Wenn er tot ist, kann er erst recht nicht bezahlen!“
„Wenn er tot ist, hat er zumindest mit dem wertvollsten Gut bezahlt, das er besitzt: mit seinem Leben. Das genügt mir.“
Juliane wich abermals einen Schritt zurück, während sich Tränen in ihren Augen bildeten.
„Aber das können Sie nicht machen! Das ist Unrecht!“
Nikolaus zuckte gleichgültig mit den Schultern und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Kaufmann. Mit einer auffordernden Kopfbewegung deutete er auf die junge Frau.
„Kind, du musst jetzt gehen“, bat der Mann und das faltige Fleisch an seinem Hals zitterte.
„Nein!“, stieß Juliane verzweifelt hervor und stellte sich in die Schusslinie. „Es muss eine andere Lösung geben!“
„Wie es aussieht, gibt es diese nicht“, erklärte Nikolaus nun ein wenig ungeduldig.
Langsam begann ihm dieses Intermezzo auf die Nerven zu gehen.
„Ich werde einen Mann finden, der die Schuld meines Vaters begleichen wird!“
Nun blickte Nikolaus sie forschend an. Geradezu unhöflich ließ er seine Augen über ihren Körper wandern, als taxiere er eine Ware auf einem Markt. Seine Musterung war ihr unangenehm und sie begann unwillkürlich zu zittern. Schließlich sah er ihr direkt in die Augen und schüttelte leicht den Kopf.
„Es tut mir leid, doch ich denke, du wirst niemanden finden, der das für dich tun würde. Gäbe es einen solchen Helden, dann wärst du längst verheiratet.“
Seine Worte trafen Juliane mit voller Wucht, da sie ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigten: Irgendetwas schien Männer von ihr abzustoßen. Sogar dieser Fremde hatte das innerhalb weniger Minuten erkannt! Um Haltung zu bewahren, blinzelte sie.
„Dann bleibt nur noch eines zu tun: Ich tausche mein Leben gegen das meines Vaters!“
Nikolaus lachte spöttisch und ablehnend auf, während ihr Vater gleichzeitig aufsprang, woraufhin der wuchtige Stuhl bedrohlich zu schwanken begann.
„Das wirst du nicht tun, Juliane! Ich befehle dir, dieses Zimmer augenblicklich zu verlassen!“
Doch sie ignorierte ihn und erwiderte Nikolaus’ Blick reglos.
„Also, was ist? Nehmen Sie mich zu Ihrer Frau und verschonen Sie meinen Vater!“
Nikolaus hatte schon viel erlebt, doch dies übertraf alles. Wie konnte dieses verrückte Mädchen denken, dass er Interesse daran hatte, sie mit sich und zur Frau zu nehmen?
„Nein, Juliane!“, zischte der Kaufmann zornig, dem die Angst um seine Tochter neue Kraft eingehaucht hatte. „Lieber sterbe ich, als dich mit diesem … Abschaum vermählt zu sehen! Verlasse auf der Stelle den Raum und fliehe vor diesem Mann! Er ist der Tod und ich möchte dich niemals in seinen Fängen wissen!“
Er packte seine Tochter an den Schultern und schob sie zur Tür, doch Juliane lehnte sich gegen ihn und versuchte, sich ihm zu widersetzen.
„Schlimmer als der Tod!“, murmelte Nikolaus, und ein teuflisches Grinsen spielte um seinen Mund, während er sich langsam erhob und sich ihnen in den Weg stellte. „Abgemacht. Ich werde dich mit mir nehmen und überprüfen, ob du noch jungfräulich bist. Sollte dies der Fall sein, nehme ich dich zu meiner Frau.“
Er richtete seine Worte direkt an Juliane, die ihn gleichermaßen erschüttert und beleidigt anblickte. Wie konnte er ihr nur unterstellen, dass sie bereits bei einem Mann gelegen war?
„Das ist eine Falle!“, stieß der Kaufmann hervor. „Darauf wirst du dich nicht einlassen! Dieser Verbrecher wird dir die Unschuld rauben und dich danach auf die Straße werfen!“
Verzweifelt schob er seine Tochter beiseite.
„Nun los, tötet mich! Wir beide haben einen Vertrag, der meine Tochter nicht betrifft!“
„Packe deine Sachen, Mädchen“, sagte Nikolaus, ohne auf den Kaufmann einzugehen, dessen Gesicht vor Zorn rot anschwoll, „du hast zehn Minuten!“
„Ich verbiete dir zu gehen!“, schrie der Kaufmann und wollte seine Tochter am Arm packen, doch diese wich ihm geschickt aus und floh aus dem Raum.
Langsam steckte Nikolaus seine Pistole zurück in den Hosenbund und verschränkte die Arme vor seiner Brust, während er den alten Mann höhnisch musterte.
„Es tut mir leid, dass ich nicht sofort erkannt habe, dass das höchste Gut eines Mannes das Wohl seiner Tochter ist. Sie haben mir die Augen geöffnet. Vielen Dank dafür. Mit dem Leben Ihrer Tochter haben Sie sich nun also freigekauft. Vorausgesetzt, sie verspätet sich nicht.“
Abwartend blickte er auf die große Standuhr.
„Bitte, behandelt mein Kind gut!“, versuchte es der Kaufmann nun unter Flehen.
„Sie haben es selbst erkannt, mein Herr, ich bin Abschaum. Für mich besteht keine Veranlassung, in irgendeiner Form nett zu Ihrer Tochter zu sein. Rechnen Sie also mit dem Schlimmsten!“
Der ältere Mann keuchte auf und ließ sich entkräftet auf einen Stuhl sinken, während er das Gesicht hinter seinen Händen vergrub. Seine Schultern begannen zu beben und Nikolaus konnte abgehackte Laute vernehmen. Ein weinender Mann – nichts war ihm peinlicher.
Es waren nicht einmal acht Minuten vergangen, bis Juliane zurückkehrte. Als sie ihren Vater weinen sah, stellte sie die Tasche ab, die sie in den Händen trug, eilte zu ihm hin und ging in die Hocke, dabei umschloss sie zärtlich seine Handgelenke.
„Nicht weinen, Vater, es wird alles gut! Bekümmern Sie sich nicht! Ich werde Ihnen schreiben!“
Er hob den Kopf und strich seiner Tochter müde über die Wange.
„Aber eines müssen Sie mir noch verraten, bevor ich gehe: Wo ist die Partitur der Zauberflöte?“
Der alte Mann blickte sie ungläubig an und schüttelte langsam den Kopf.
„Das ist gleichgültig“, vernahm sie plötzlich eine Stimme hinter sich. „Die wirst du dort, wo du nun hingehst, sicherlich nicht brauchen.“
Langsam richtete sich Juliane auf und sah den fremden Mann an, der sie mit seiner Kälte nun doch einzuschüchtern begann.
„Wie bitte?“
„In meinem Haus gibt es keine Musik“, erklärte er emotionslos, „keine Partituren und auf gar keinen Fall einen Hauch von Mozart. Es ist sehr still bei mir.“
Ungläubig und mit weit aufgerissenen Augen starrte ihn die Kaufmannstochter an, sah, wie er sich umwandte, nach seinem Hut und ihrer Tasche griff und den Raum verließ, ohne noch einmal zurückzublicken. Juliane schluckte, straffte die Schultern, küsste ihren Vater auf die Stirn und eilte ihm schnell hinterher.

Kaufmann: Juliane, mein Kind, was hast du getan?
Du lieferst dich aus diesem Scharlatan.
Dem finsteren Mann mit dem dunklen Herz.
Mein Kind, mein Kind, ach, welch ein Schmerz!
Chor: Nun geht sie dahin mit dem Teufel selbst.
Nun geht sie dahin und ihm bricht’s das Herz.
Was soll nur werden – er ist ein verzweifelter Mann?
Kaufmann (drückt sich eine Hand auf die Brust): Juliane, mein Kind, was hast du getan?
Ich hätt’ den Tod als Ausweg gewählt, anstatt dich zu binden an diesen Mann.
Doch du hast dein Leben verwirkt und ihm deine Hand gereicht.
Chor: Juliane! Juliane! Sie nahm des Teufels Hand und rettete dadurch sein Leben!
Doch was soll nun werden, denn er ist ein gebrochener Mann?
Kaufmann: Ich bin ein gebrochener Mann! Juliane, mein Kind, was hast du getan?